- Gentechnik: Eingriff in die Gene der Lebewesen
- Gentechnik: Eingriff in die Gene der LebewesenDie Wiege der Gentechnik steht im sonnigen Kalifornien. Das inzwischen wohl erfolgreichste »Kind« der Biologie sorgt für steigende Milliardenumsätze, gilt als Zukunftstechnologie par excellence und ist dennoch so umstritten wie vor knapp 30 Jahren, als alles begann.Das Jahr 1972 gilt als das Geburtsjahr der Gentechnik. Damals beschäftigten sich Herbert W. Boyer von der University of California in San Francisco und Stanley N. Cohen von der Stanford University im benachbarten Palo Alto mit der Möglichkeit, einzelne Abschnitte aus dem Erbgut von Bakterien auf andere Bakterien zu übertragen. In verschiedenen Versuchen gelang es ihnen, das Erbsubstanzmolekül Desoxyribonukleinsäure, international abgekürzt DNA für deoxyribonucleic acid, an bestimmten Stellen aufzuschneiden, die DNA-Bruchstücke in das Erbgut anderer Organismen einzuschleusen und dort aktiv werden zu lassen. Das Schlüsselexperiment veröffentlichten beide Forscher im November 1973 im amerikanischen Fachblatt »Science«. Mit ihrem Basisversuch gelang es ihnen, einen Erbgutabschnitt, und zwar ein Gen, eines Bakterienstamms auf einen anderen Bakterienstamm zu übertragen. Dieses Gen enthielt die Bauanleitung für einen Eiweißstoff, der den ersten Bakterienstamm resistent gegen das Antibiotikum Streptomycin machte. Übertragen auf den zweiten Stamm, verschaffte das Gen nun auch diesem zuvor empfindlichen Stamm Resistenz gegen das Antibiotikum.Anschließende Versuche der beiden Forscher sowie Tausender weiterer Teams auf der ganzen Welt zeigten, dass sich Gene von jedem beliebigen Organismus, sei es ein Bakterium, eine Hefezelle, eine Pflanze, ein Tier oder der Mensch, auf einen anderen, ebenfalls beliebigen Organismus übertragen lassen. Der genmanipulierte, auch transgen genannte Organismus kann dann die im übertragenen Gen kodierte Erbinformation nutzen. So entstanden etwa Pflanzen, die dank des »Kälteschutzgens« der Flunder vor Frost gefeit sind, Hefezellen produzieren Virus-Eiweiße, die sich als Impfstoff etwa gegen Hepatitis-B eignen, transgene Tiere und Organismen liefern Medikamente, Nutzpflanzen sind gegen Pflanzenschutzmittel oder Pflanzenschädlinge resistent, mit gentechnisch veränderten Bakterien lassen sich wertvolle Erze wie Kupfer aus dem Boden gewinnen oder gefährliche Schadstoffe, etwa chlorierte Kohlenwasserstoffe, entfernen. Die Neukombination von Genen, man spricht auch von DNA-Rekombination, ist der zentrale Prozess der Gentechnik. Mit der Gentherapie eröffnet die Gentechnik sogar die Möglichkeit einer Korrektur im Erbgut menschlicher Zellen. Derzeit entwickeln viele Forschergruppen gentherapeutische Konzepte, um Erbdefekte, aber auch erworbene Krankheiten wie Krebs oder Infektionen zu heilen.Voraussetzungen der GentechnikAuch wenn die heutigen Verfahren der Gentechnik auf unterschiedlichen Methoden beruhen, so greifen sie doch alle auf das von Cohen und Boyer erarbeitete Prinzip der DNA-Neukombination zurück. Anfang der 70er-Jahre waren alle notwendigen Voraussetzungen gegeben, um den Eingriff ins Erbgut vornehmen zu können: Die Entschlüsselung des genetischen Codes, also das Wissen, dass innerhalb des DNA-Moleküls jeweils ein drei Basen langer Abschnitt für eine von 20 Aminosäuren steht, zeigte, dass dieser Code universell für alle Lebewesen gilt. Nur deshalb kann beispielsweise eine Bakterienzelle menschliches Insulin produzieren, wenn man das Insulingen des Menschen in den Mikroorganismus einbaut.Mit geeigneten Chemikalien gelang es, reine DNA aus Zellen zu isolieren. Dank Sequenziermethoden lässt sich die Basenabfolge, die Sequenz, innerhalb eines DNA-Strangs bestimmen. Auf diese Weise erkannten die Molekulargenetiker, wie die genetische Information strukturiert ist. Man entdeckte etwa, dass Gene nicht in einem Stück vorliegen, sondern dass kodierende Abschnitte, die Exons, von scheinbar sinnlosen, nicht in Proteine übersetzten Abschnitten, den Introns, unterbrochen werden. Man entdeckte Steuerelemente wie Start- und Stoppsignale oder die Promotoren, die für das enzymatisch gesteuerte Ablesen eines Gens wichtig sind. Wissenschaftler fanden Enzyme, die wie molekulare Scheren den DNA-Strang an ganz bestimmten Stellen aufschneiden, und eine zweite Gruppe von Enzymen, die zwei DNA-Abschnitte wieder miteinander »verkleben« können. Dies sind zum einen die Restriktionsenzyme oder Restriktionsendonukleasen und zum anderen die Ligasen. Schließlich entwickelten Forscher Übertragungsmethoden, mit denen sich fremde DNA von einem Organismus auf einen anderen transferieren lässt.Cohen etwa erzeugte für den Gentransfer ein spezielles Plasmid. Plasmide sind kleine, ringförmig geschlossene DNA-Moleküle, die nur bei Bakterien vorkommen. Cohen und Boyer schnitten in ihrem Basisexperiment ein solches Plasmid mit Restriktionsenzymen auf, fügten dort mithilfe der Ligase das Gen für die Antibiotikaresistenz ein, versahen das Gen zusätzlich mit einem starken Promotor und sorgten mit geeigneten Chemikalien dafür, dass dieses genmanipulierte Plasmid die Zellwand der Bakterienzellen passieren konnte. Wie das eigene Erbgut wird dann die eingeschleuste DNA an die Nachkommen weitergegeben. Heute sind weitere Transfermethoden bekannt.Die Diskussionen um die SicherheitSchon bald nach dem Erscheinen von Cohens und Boyers Arbeit warnten Wissenschaftler vor möglichen Gefahren gentechnischer Experimente. Im Zentrum dieser Diskussion standen zunächst die verwendeten genmanipulierten Mikroorganismen. Cohen und Boyer sowie die meisten anderen Forscher arbeiteten mit Escherichia-coli-Bakterien, abgekürzt E. coli. Diese Mikroorganismen treten natürlicherweise im menschlichen Darm auf. Daher sah man folgendes Risiko: Entstünde ein E.-coli-Stamm, der durch den Eingriff ins Erbgut den Menschen krank macht, so wären die Forscher bei der Arbeit einer sehr großen Gefahr ausgesetzt. Würde gar ein solcher Keim aus dem Labor entweichen, bestünde im Prinzip sogar ein weltweites Infektionsrisiko. Auf der Konferenz von Asilomar in Kalifornien debattierten 1975 Molekularbiologen aus der ganzen Welt über die Risiken der gentechnischen Verfahren. Kurze Zeit später züchtete man Sicherheitsstämme von E. coli, die außerhalb des Labors nicht lebensfähig sind. Die Experimente wurden, gemäß dem Grad der Gefährdung, die von den verwendeten Organismen und den übertragenen Genen ausgeht, in unterschiedliche Sicherheitsstufen eingeteilt. In Deutschland wurde schließlich 1990 das Gentechnikgesetz verabschiedet, das die Arbeit mit gentechnischen Verfahren und gentechnisch modifizierten Organismen regelt.Die Debatte um die Sicherheit gentechnischer Eingriffe hält indes an. Vor allem zwei Aspekte stehen heute im Vordergrund: die Gefahren der Freisetzung gentechnisch veränderter Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere sowie die Gefahren gentechnischer Produkte für den Verbraucher. Trotz intensiver Sicherheitsforschung lassen sich diese Fragen nicht endgültig klären. Vielmehr müssen die Forscher in jedem Einzelfall mögliche Risiken überprüfen, bevor sie eine Genehmigung für genehmigungspflichtige Experimente erhalten können. Manchen Kritikern geht dies indes nicht weit genug: Sie stellen die Grundsatzfrage nach den ethischen Grenzen dieser Experimente. Besonders umstritten sind die gentherapeutischen Eingriffsmöglichkeiten beim Menschen. Auf breitere Zustimmung sowohl der beteiligten Fachleute wie der Öffentlichkeit stößt wohl der gentherapeutische Eingriff an Körperzellen, der nur das Individuum betrifft. Eine Gentherapie der Keimbahn hingegen, bei der das eingebaute Gen auch an alle Nachkommen vererbt wird, lehnen die allermeisten Wissenschaftler sowie die Mehrheit der Bevölkerung ab. Nach dem Embryonenschutzgesetz ist ein solcher Eingriff in Deutschland verboten.Cohens und Boyers Experiment markiert damit nicht nur einen wissenschaftlichen Meilenstein, sondern führte die Menschheit zu einem Punkt, an dem sie ihre ethischen Grundpositionen im Licht heutiger und zukünftiger Möglichkeiten neu überdenken muss.Rolf Andreas Zell
Universal-Lexikon. 2012.